Esslinger Zeitung vom 14.11.2002

Stadt ökologisch bewusst entwickeln

Am Freitag eröffnet Oberbürgermeister Jürgen Zieger die Esslinger Umwelttage. Über den Stellenwert des Umweltschutzes, die Perspektiven für die Zukunft und die Frage, wie sich neue Baugebiete mit den Belangen des Umweltschutzes vertragen, unterhielt sich EZ-Redakteurin Dagmar Weinberg mit dem Stadtoberhaupt.

Im Gegensatz zu anderen Städten hat Esslingen keine/n Umweltbeauftragte/n, sondern nur eine Koordinierungsstelle für Umweltschutz. Ist der Umweltschutz überhaupt eine eigene Größe in der Stadt?

Zieger: Esslingen ist eine grüne Stadt, die ökologisch bewusst entwickelt wurde. Erkennbar ist dies am hohen Anteil der geschützten Freiflächen und der starken Durchgrünung. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist selbstverständliches Kriterium bei der Beurteilung der Stadtentwicklung. Entscheidend ist die bei der Gründung der Koordinierungsstelle Umweltschutz.. (KU) realisierte Leitidee, dass alle Amter in ihren Bereichen den Umweltschutz in eigener Verantwortung berücksichtigen und voranbringen. Die Stelle einer oder eines Umweltbeauftragten, die nur zur späteren Umsetzung von Projekten hinzugezogen wird, könnte die in Esslingen erzielten Erfolge niemals leisten. Die KU vernetzt diese Themen, setzt Impulse, wirkt bewusstseinbildend und berät. Umweltschutz ist in Esslingen integriertes, selbstverständliches Verwaltungshandeln.

Esslingen ist dem Klimaschutzbündnis beigetreten. Wie wollen Sie die Halbierung der Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2010 schaffen?

Zieger: Zunächst fördern wir die energetische Sanierung des Altbaubestandes. Hier steckt das größte Einsparpotential. Dies umfasst einerseits mit dem Wärmesiegel die Förderung der privaten Altbausanierung. Hinzu kommen die gezielten Investitionen der Stadt in die energetische Modernisierung ihres Gebäudebestandes. Besondere Priorität haben, die Esslinger Schulgebäude. Die Stadtverwaltung möchte deshalb die anstehende Schulentwicklungsplanung ganz bewusst mit der vorgezogenen Gebäudesanierung kombinieren. Darüber hinaus stärken wir den Einsatz der regenerativen Energien durch Förderprogramme und durch eigenes Engagement. Die Optimierung unseres öffentlichen Nahverkehrs, die Förderung der Erdgas betriebenen Autos durch die Stadtwerke Esslingen (SWE), das von den SWE realisierte Blockheizkraftwerk in Berkheim, die Förderung von Solaranlagen auf dem Schelztorgymnasium sowie dem Merkelbad oder die Beteiligung an CarSharing-Projekten mit dem VCD sind weitere Bausteine. Zudem setze ich darauf, dass sich zukünftig verbrauchsarme Fahrzeuge bis zum Einsatz von Brennstoffzellen-Fahrzeugen in der breiten Anwendung durchsetzen werden.

In Sachen Sonnenenergie steht Esslingen nicht gerade an der Spitze der Bewegung, obwohl es einen Oberbürgermeister hat, der auf diesem Gebiet als Fachmann gilt. Warum haben Sie persönlich dieses Thema nicht mehr forciert?

Zieger: Bei städtischen Neubauvorhaben in Esslingen kommen immer sehr energiesparende Konzepte zum Tragen. Ich erinnere zum Beispiel an den Kindergarten auf dem Zollberg oder an das Energiekonzept der neuen Stadthalle. Auch die Sanierung der Schulen erfolgt energetisch sehr ambitioniert. Die Eichendorff_Schule ist in der Energiebilanz nach der Sanierung C02neutral. Auf dem Dach dieser Schule wird die größte private Photovoltaik-Anlage mit 320 Quadratmeter in der Region Stuttgart installiert. In ähnlicher Größenordnung wird auf der Lerchenäckerschule noch in diesem Jahr eine weitere Anlage folgen und eine dritte ist bereits in Vorbereitung. Flankiert durch die erfolgreiche Arbeit etwa der Agendagruppe Solarprofit spielen wir in Sachen Photovoltaikflächen und Solarthermie gemessen an der Einwohnerzahl ganz vorne in der Republik. Ich denke, das kann sich sehen lassen.

Umweltschutz bedeutet auch, die Versiegelung von Flächen zu stoppen. Wie verträgt sich denn die Ausweisung neuer Baugebiete mit diesem Ziel?

Zieger: Esslingen bleibt auch nach der Realisierung der neuen Baugebiete mit rund elf Hektar bei einer Gesamtfläche von 4644 Hektar im Stadtgebiet eine durchgrünte Stadt. Dafür sorgt schon der geltende Flächennutzungsplan, der diese fünf Gebiete bereits umfasst. Im Vergleich zu anderen Kommunen bietet der Flächennutzungsplan für Esslingen nur knappe Flächerlressourcen. Die negativen Auswirkungen dieser Baugebiete werden überschätzt. Für die nachhaltige Entwicklung der Region Stuttgart und der Stadt Esslingen ist es ökologischer, Wohnraum auf kleinen Flächen dort anzubieten, wo 58 000 Arbeitsplätze mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar sind. In der ökologischen Gesamtbilanz ist es nachteiliger, wenn die Menschen auf großen Bauplätzen im ländlichen Raum siedeln. Dies erzwingt nur zusätzlichen Verkehr. Und es ist ökologischer, Wohnraum dort anzusiedeln, wo die öffentliche und private Infrastruktur mit einem leistungsfähigen öffentlichen Nahverkehr angeboten wird. In zehn Minuten Gehzeit können sie vom Egert in Zell eine S-Bahn und sämtliche Busverbindungen erreichen. Das ist in der Region Stuttgart ein hervorragender Wert.

In den Neubaugebieten sollen zwar hohe ökologische Standards gelten. Lässt sich dadurch allein ein adäquater Ausgleich schaffen, oder sind diese Ausgleichsmaßnahmen nicht vielmehr nur Kosmetik?

Zieger: Die ökologischen Standards, die Energiekonzepte der Neubaugebiete sowie die im Einzelfall zu schaffenden ökologischen Ausgleichsflächen sind vorbildlich und in ihrer Gesamtheit beispielhaft. Um umweltpolitisch glaubwürdig zu bleiben, müssen wir alles daran setzen, diese ambitionierten Ziele konkret zu erreichen.