Esslinger Zeitung vom 6.5.2003

Irgendeiner muss irgendwann bezahlen

Zu "Amerika lockt mit einem Milli~ngeschäft" und "Keine morali.n Bedenken" vom 23. April

Fakt in Esslingen ist: OB Zieger und bürgermeister Wallbrecht haben sich prozyklisch Millionen verchlingende Baudenkmäler getsetzt und tun es noch. Als Nächstes die größte Passivhaussiedlung der Region Stuttgart im Zeller Egert, von fraglicher Wirtschaftlichkeit für die Stadt. Auch der notwendige Individualverkehr zu dieser Splitterung wird den ökologischen Nutzen der Zieger-Passivhäuser so aufzehren, dass ein Haus nach heutigem Normalstandard in Randlage bei weitem mehr "öko" ist.
Diese prozyklische und überzogene Ausgabenpolitik der Stadt haben die Kassen so leer gefegt, dass auf der anderen Seite die steuerzahlenden Eltern zur sozialistischen Aufbauarbeit aufgefordert werden: Schulmauern müssen oder sollten von den Eltern in ihrer freien Zeit trockengelegt werden und Klassenzimmer renoviert. Oder ganze Schulen, wie etwa die Hainbachschule, sollen geschlossen werden.
Daher die Anweisung vom Verwaltungschef an die Stadtkasse in personam Schiebel: Geld muss her durch Cross-Border-Leasing. Auch wenn nur lächerliche zwei Millionen für die Stadt selbst abfallen, die eigentlich wie jeder einzelne Euro aus diesem Vertrag den Besitzern der versilberten Infrastruktur, nämlich dem Bürger, gehören. Aber das juckt ja nicht mehr. Denn sobald es ums Geld geht, verwahrlost nicht nur der Mensch als solcher, sondern auch der Rechtsstaat oder hier die Kommune.
Und: Auch wenn es Herr Schiebel ausschließt: Es kann durchaus aufgrund staatlicher Begehrlichkeiten geschehen, dass rückwirkend die Steuergesetze in Bezug auf CrossBorder-Leasing geändert werden. Sowohl hier als auch in den USA. Denn warum sollte der Staat den Kommunen Gnade geben, wenn sie diese dem Bürger nicht gewähren? Aber am Ende zahlt natürlich das auch der Bürger.
Fakt ist nach den beiden EZ-Artikeln, auf die ich mich hier beziehe: Finanzbürgermeister Schiebel und auch die Herren Scheuing und Rilling kennen den im allgemeinen 600 bis 2000 Seiten starken Cross-Border-Leasing-Vertrag gar nicht, nach dem das Wasser-, Abwasser- und Gasnetz der Stadt an einen amerikanischen Investor abgetreten werden soll. Ich bezweifle auch, dass Herr Schiebel überhaupt fähig ist, das in Juristenamerikanisch verfasste Werk zu lesen, noch viel weniger es zu verstehen. Auch bezweifle ich, dass derjenige, der es lesen und verstehen kann, sich auf Seite 2000 daran erinnern kann, was in der Mitte Wichtiges stand.
Bleibt aber trotzdem, dass das Ganze insgesamt eine tolle Sache ist: Der amerikanische "Investor" gewinnt. Die Kommune gewinnt. Die DaimlerChrysler Services gewinnen. Herr Eichel macht über Umsatz- und Ertragssteuer auch Kasse und freut sich. Die beteiligten Banken gewinnen. Der Bürger staunt ob der wundersamen Geldverniehrung. Nur: Wenn so viele gewinnen, dann muss doch irgendwann irgendeiner bezahlen. Oder?

Klaus Neumann
Esslingen